Wenn wir von Barockoper sprechen, dann lässt sich der in Frage kommende Zeitraum erstaunlich genau abstecken: 1600 als Beginn – das Jahr, in dem Jacopo Peri die erste erhaltene Oper, seine 'Euridice', zur Hochzeit von Heinrich IV von Frankreich und Maria von Medici im Palazzo Pitti in Florenz aufführte, bis zum September 1791, in dem Mozart seinen Titus und die Zauberflöte aufführte – zwei Jahre nach dem Sturm auf die Bastille, also bereits mitten in der Französischen Revolution.
Die Idee der Camerata fiorentina
Es begann also in Florenz, als eine Gruppe von Künstlern und Musikern, die sogenannte Camerata Florentina, einen Weg suchte, die Deklamation des antiken Dramas nachzumachen. Das parlar cantando war die Idee, also sprechen durch Singen, da in der Mehrstimmigkeit der Zeit der Text unterging. Ein Thema, das auf dem Konzil von Trient ausführlich für die Kirchenmusik diskutiert wurde. Auch hier wurde Textverständlichkeit eingefordert. Das Thema von der Wichtigkeit von Text oder Musik sollte noch weiter diskutiert werden – bis zu Salieri und Mozart, für die feststand: Prima la musica, dopo le parole.
Ein bahnbrechender Geniestreich:
Monteverdis L‘Orfeo
Das, was wir heute als erste richtige Oper bezeichnen, entstand sieben Jahre später in Mantua durch Caudio Monteverdis Geniestreich: 'L’Orfeo', die erste 'richtige' Oper. Hier habe wir bereits eine perfekte Verbindung zwischen Text und Musik und die Grundstruktur zwischen erzählenden Teilen, aus denen sich das Rezitativ entwickeln sollte, und ariosen Teilen, die ein Innehalten im Fortlaufen der Handlung bedeuten, wo die Musik in größerer Vielfalt Platz hat. Daraus entwickelten sich im Laufe der nächsten Jahrzehnte die Arien bzw. Ensembles.
Die Idee breitet sich aus
Die offensichtliche Resonanz auf dieses Konzept bewirkte eine Verbreitung der neuen Form über ganz Italien bereits innerhalb der nächsten Jahrzehnte und dann über Italien hinaus. 1637 wurde das erste private Opernhaus in Venedig eröffnet, 1646 brachte der Komponist Luigi Rossi die Oper nach Frankreich – wieder mit einem Orpheus. Sie kam an den Habsburgerhof – die Kaiser waren ja bis Maria Theresia musikliebend und selbst erfolgreiche Musiker - und bis hinauf nach Hamburg, wo Telemann im ersten öffentlichen Opernhaus, dem Hamburger Theater am Gänsemarkt, wirkte.
Der alte Mann und die Oper
Monteverdi verließ den Dienst der Gonzagas und übersiedelte nach Venedig, um dort in San Marco zu wirken, und schuf noch im hohen Alter seine beiden anderen erhaltenen Opern, ‚Il ritorno d’Ulisse in patria‘ und ‚L’incoronazione di Poppea‘, die erste Oper mit historisch-römischem Inhalt – und absolut unmoralisch. Das ganz erstaunliche Libretto dazu lieferte der venezianische Jurist Busenello. Librettisten waren übrigens sehr häufig Personen höheren Standes, die zu ihrem Vergnügen dichteten, wie z. B. der Kardinal Vincenzo Grimani, der das – ebenso unmoralische - Libretto zu Händels Agrippina schrieb.
Unterhaltung für alle
In Venedig schossen die Opernhäuser nur so aus dem Boden – bis zu elf in einer so kleinen Stadt. Sie boten Rundumunterhaltung nicht nur für die Adeligen. Das Parkett gehörte den einfachen Leuten, wie im elisabethanischen Theater. Gondolieri hatten freien Eintritt. Die Theater wurden nach den nahe gelegenen Kirchen genannt. Das berühmteste davon ist das Teatro S. Giovanni Grisostomo, heute Teatro Malibran und wieder renoviert und in Betrieb. Der bekannteste venezianische Komponist dieser Epoche ist Francesco Cavalli, dessen Opern mittlerweile immer häufiger aufgeführt werden, besonders La Calisto nach der entsprechenden Metamorphose von Ovid.
Neapel und die Konservatorien
Als weiteres bedeutendes Zentrum der Opernproduktion entwickelte sich Neapel mit seinen vier Konservatorien,
ursprünglich 'Kinderbewahranstalten' oder Waisenhäusern, de, Conservatorio dei Poveri di Gesù Cristo, dem Conservatorio di Santa Maria di Loreto, dem Conservatorio della Pietà dei Turchini
und dem Conservatorio di Sant' Onofrio. Komponisten wie Alessandro Scarlatti oder Nicola Porpora, der als der bedeutendste Gesangslehrer der Epoche gilt und
später in London mit der Opera of the Nobility gegen Händel antrat, wirkten dort.
Die Superstars der Barockoper:
die Kastraten
Knaben, von deren Stimmen man sich besonderes erhoffte, wurden vor der Pubertät kastriert, um ihre 'voce bianca' zu erhalten. Die Hoffnung, sie könnten Superstars der damaligen Musikszene werden, erfüllte sich nur bei recht wenigen. Der Name Nicola Porpora ist jedenfalls mit den größten Stars des 18. Jahrhunderts, Carlo Broschi, genannt Farinelli, und Gaetano Majorano, genannt Caffarelli, verbunden, die am Conservatorio di S. Onofrio ausgebildet wurden.
Opera proibita
In Rom trat der eigenartige Fall ein, dass der Papst die Aufführung von Opern im ersten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts verbot, was zur Folge hatte, dass die dort anwesenden Komponisten – unter ihnen Scarlatti, Caldara und der junge Händel - auf die zur selben Zeit wie die Oper entstandenen Oratorien auswichen. Sie boten ein vergleichbares Maß an Dramatik, waren von der Form sehr ähnlich, aber meist religiösen Inhalts und wurden nicht szenisch in Theatern aufgeführt – was sie billiger machte. Händel sollte später darauf zurückkommen.
Trennung von Spaß und Ernst
Um die Jahrhundertwende etablierte sich die Form, die als Opera seria in die Geschichte eingegangen ist. Die ursprünglich sehr bunten Libretti – tragische und komische Szenen abwechselnd, eine recht große Zahl von Personen verschiedener Schichten (Götter, Helden, Diener, Ammen, Hirten, Waldgeister etc.) – wurden stratifiziert zugunsten der aristotelischen Einheiten von Ort, Zeit und Handlung. Die komischen Gestalten und Buffo-Szenen wanderten in die Intermezzi, um sich dort zur Opera buffa wie z. B. Pergolesis 'Serva padrona' zu entwickeln.
Das Wort angebend: Librettist des Jahrhunderts
Verantwortlich für diese Entwicklung sind die beiden Librettisten Apostolo Zeno und Pietro Metastasio. Metastasio, ein umfassend klassisch gebildeter Mann, der seinen Namen aus Trapassi gräzisierte, wurde ca 1730 Hofdichter von Karl VI. in Wien, wo er bis zu seinem Tod 1783 am Kohlmarkt wohnte. Seine Libretti beherrschten die Opernszene des 18. Jahrhunderts. Ihr größtes und wichtigstes Thema ist der Konflikt Liebe – Ehre/Pflicht, der Held ein vincitor de se stesso, der sich selbst und seine niedrigen Triebe besiegt.
Ein fixes Set von Figuren
Die Konstellation der Figuren – zwei Paare, der primo uomo und die prima donna bzw. der secondo uomo und die seconda donna hatten sich als Standard etabliert, stimmlich in Sopran- bis Altlage. Den dazugehörigen Gegnern, Feldherrn, Vätern waren die eigentlichen Männerstimmen vorbehalten. Die Musik bestand aus einem Wechsel aus Rezitativen (secco – nur mit Cembalo, oder accompagnato – mit mehr Instrumentalbegleitung), in denen sich die Handlung fortbewegte, und Da-Capo-Arien, die quasi einen Stillstand, ein close up, eine emotionale Situation genau betrachten. Der erste Teil wird nach einem anders gearteten Mittelteil wiederholt und bietet den Sängern die Möglichkeit persönlicher Gestaltung durch Verzierungen.
Der Andrew Lloyd Webber des 18. Jahrhunderts
Im ersten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts kam der junge Händel nach Italien, einige Jahre später Johann Adolph Hasse, die beide die Opernszene des 18. Jahrhunderts nachhaltig beeinflussen sollten, Händel durch seine 'Royal Academy of Music', sein italienisches Opernunternehmen in London, Hasse durch seine reiche Tätigkeit in ganz Europa: in Italien, England, Deutschland und am Hof Maria Theresias. 1730 heiratete er die gefeierte Primadonna Faustina Bordoni, die für die nächsten Jahrzehnte der Star seiner Opern sein sollte. In London arbeitete er für die Opera of the Nobility. Er war drei Jahrzehnte Hofkomponiste des Kurfürsten von Sachsen in Dresden, wirkte in Wien für Maria Theresia und verbrachte seine letzten Lebensjahren wieder gemeinsam mit seiner Frau in Venedig.
Die Primadonnen
Faustina war bereits bei Händels erster Royal Academy of Music gewesen. Sie war als zweiter weiblicher Star zu Händels erster Primadonna Francesca Cuzzoni gekommen und die Rivalität zwischen den beiden oder ihren Anhängern hatte in London einmal einen derartigen Eklat ausgelöst, dass eine Vorstellung abgebrochen werden musste. Dazu kam Senesino, Händels Starkastrat, der auch für Schlagzeilen sorgte. Die Parodie auf diesen italienischen Opernbetrieb, die Beggars‘ Opera wurde in England ein voller Erfolg. Francesca Cuzzoni und Faustina Bordoni sind die Vorbilder für Polly Peachum und Lucy Locket, die beiden Mädchen, die um die Gunst des Highwaymans MacHeath buhlen. Bert Brecht und Kurt Weill haben daraus die ‚Dreigroschenoper‘ gemacht.
Die Reformer: ‚edle Einfalt, stille Größe‘
Nach der Mitte des Jahrhunderts schien das Modell der opera seria ausgereizt. Chr. W. Gluck und sein Librettist Calzabigi brachten ihre Reformoper ‚Orfeo ed Euridice‘ auf die Bühne: Weg von den schematisierten Gefühlen und Dacapo-Arien in Richtung ‚edle Einfalt, stille Größe‘, Auflösung des strenges Schemas, einfacher, bürgerlicher, die Musik durchgehender gestaltet. Keine Götter mehr wie bei Monteverdi – Orpheus, Eurydike und Amor – und ein Chor in verschiedenen Funktionen. Sie sind eigentlich ein ganz normales Ehepaar, das an seiner ungleichen Auffassung von Kommunikation scheitert.
Gluck geriet in Frankreich in einen massiven Streit zwischen verschiedenen Opernauffassungen, den sogenannten Buffonistenstreit, gegen den italienischen Komponisten Piccinni und seine Anhänger.
Das Wunderkind aus Salzburg
Und dann tritt das Wunderkind Mozart auf den Plan, zuerst in Italien im Dienste der opera seria, wo er bei der Hochzeit von Maria Theresias Sohn Ferdinand mit Beatrice d’Este mit dem alten Hasse zusammentrifft und seine Oper ‚ Ascanio in Alba‘ größeren Gefallen findet als Hasses letzte Oper 'Ruggiero'. Der große Wandel manifestiert sich dann in den Wiener Jahren 17781 -91 mit den Da-Ponte Opern ‚Don Giovanni‘, ‚Le Nozze di Figaro‘ und ‚Cosi Fan Tutte‘. Die Zauberflöte, seine Koporduktion mit Emmanuel Schikaneder, erfolgt nahezu zeitgleich mit ‚La clemenza di Tito‘, einem Auftragswerk nach dem etwas adaptierten Metastasiotext zur Krönung von Leopold II zum König von Böhmen in Prag. Damit geht diese Epoche der Oper zu Ende.
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