Ein Sommernachtstraum
(A Midsummer Night’s Dream)
ist wohl die beliebteste Komödie des Barden – und das nicht ohne Grund. Denn wenn sie auch auf ersten Anblick ziemlich verwirrend wirkt, was die Handlung, oder eher die Handlungen anbelangt, so gelingt ihr eines immer: zu unterhalten. Während andere Shakespearekomödien bezüglich ihres Unterhaltungswerts auf mich manchmal etwas sperrig wirken – Humor ist ja vielfach stark situations- und kontextbezogen – findet man den Sommernachtstraum immer unterhaltsam, egal, wie viel man davon ‚versteht‘.
Und zu verstehen gibt es recht viel. Da greifen mindestens vier Handlungsstränge ineinander. Außerdem: was hat eine verwirrende Nacht mitten im Sommer, die Johannisnacht am 24. Juni, mit der Antike zu tun? Ziemlich viel, denn zwei der Handlungsstränge haben einen unmittelbaren Bezug dazu. Man könnte sagen, der oberste und der untererste - high plot und low plot nennt man das in der elisabethanischen Literatur.
Zum high plot gehören die Fürsten und Könige und sonstige vornehmen Leute. Hier haben wir gleich eine bekannte Gestalt der Antike, Theseus, der gerade die Amazonenkönigin Hippolyta heiratet. Um deren Hochzeit rankt sich das Übrige. Die beiden Fürstlichkeiten kann man hier kaum als Charaktere bezeichnen. Sie sind eigentlich elegante Staffage.
Die engste Verbindung dazu hat der low plot, die Handwerker, die beschließen, zur Hochzeit von Theseus und Hippolyta ein Theaterstück aufzuführen, ausgerechnet die tragische Geschichte von Pyramus und Thisbe, wie wir sie aus den Metamorphosen des Ovid kennen. Sie könnte man auch als fünfte Handlung, als Spiel im Spiel, bezeichnen.
Dazwischen spielt sich allerdings auch noch einiges ab. Da gibt es auch Leute, die heiraten sollen. Der reiche Egeus hat seine Tochter Hermia für den jungen Demetrius bestimmt und will sein Ziel, wenn es sein muss auch mit Gewalt, erreichen. Hermia ist hingegen in einen gewissen Lysander verliebt, während ihre Freundin Helena sehr wohl ein Auge auf Demetrius geworfen hat.
Um der väterlichen Gewalt zu entgehen, flüchten die jungen Leute in den Wald, wo sie der Gegenwelt in Form des Feenreiches, regiert von einem streitenden Herrscherpaar, Oberon und Titania, begegnen. Und mit Hilfe von Puck, dem Diener des Elfenkönigs, und ein bisschen Zaubertrank, der verliebt macht, bricht das große Verwirrspiel aus. Sowohl die beiden jungen Paare – ein Klassiker der Komödie, den Shakespeare auch in anderen Werken verwendet und der bis heute gerne vor allem in Operetten und Musicals präsent ist - als auch die Handwerker, die im Wald ihr Stück proben, geraten in die Intrigen der Feenwelt. Die Zuneigung der jungen Leute wird durch Pucks Zaubertrank wild durcheinandergewirbelt (In modernen soap operas passiert das auch ohne Zaubertrank). Das größte Opfer aber ist die Feenkönigin Titania selbst, deren Verliebtheit sich auf den Handwerker Nick Bottom (in der Übersetzung von Wieland heißt er Zettel) konzentriert, der – ebenfalls durch Puck’s Machinationen - einen Eselskopf bekommen hat.
Nach einer Nacht voller liebestoller Verwirrungen in dieser Anderswelt des Feenreiches, dem Wald, werden sie gelöst, Oberon und Titania versöhnen sich, Bottom verliert seinen Eselskopf und die jungen Leute werden ‚richtig‘ zusammengesetzt. Die königliche Jagdgesellschaft findet sie und Theseus und Hippolyta setzen bei Hermias Vater durch, dass beide Paare mit ihnen gemeinsam getraut werden.
Zum Schluss bleibt nur eines: das Spiel der Handwerker, ein Gustostück für Liebhaber der Antike und des elisabethanischen Theaters. Nimmt schon Ovid die Tragik der Liebesgeschichte nicht ganz ernst, so wird sie durch die Darstellung der guten Handwerker vollends zur Parodie. Man lacht ebenso über den Blasebalgflicker Francis Flute in der weiblichen Hauptrolle der Thisbe (zu Shakespeares Zeit spielten ja Burschen die weiblichen Rollen, Schauspielerinnen kamen erst nach der Glorious Revolution 1660) wie über den wilden Löwen von Snug, dem Tischler, der die Damen nicht erschrecken soll, die Wand des Kesselflickers Tom Snout und den Mond des Schneiders Robin Starveling, wobei der Barde die bühnenbildlose Praxis seiner eigenen Theaterwelt auf die Schippe nimmt.
Zwei Orte, zwei Welten: Athen, die Stadt, die kaum etwas mit dem tatsächlichen Athen zu tun hat, als Stätte der Ordnung und Vernunft, der Wald als Anderswelt des Zauberhaften, Geheimnisvollen, Undurchschaubaren.
Shakespeare verwendet hier nicht eine bestimmte Quelle, sondern greift Motive aus der antiken Literatur, z.B. aus Plutarchs ‚Theseus‘ auf, die Feenwelt ist inspiriert von einem Werk seines Zeitgenossen Edmund Spenser, ‚The Faerie Queene‘, und das Spiel der Handwerker nimmt Ovids Erzählung von Pyramus und Thisbe aus den Metamorphosen (Iv, 55 - 166) auf, in der die Farbe der Früchte des Maulbeerbaumes durch das Blut des Pyramus verwandelt wird.
In Shakespeares Stück passieren vielerlei Verwandlungen, vor allem durch die Irrationalität der Liebe. Was bleibt, ist der Eselskopf als Zeichen dafür.
Beliebte Auseinandersetzungen mit dem Thema:
Henry Purcell: The Fairy Queen (Semiopera, 1692)
Felix Mendessohn-Bartholdy: Schauspielmusik zum Sommernachtstraum (1842)
Verfilmungen:
1935 unter der Regie von Max Reinhardt und William Dieterle u.a.mit James Cagney, Ian Hunter, Joe E. Brown, Mickey Rooney und Olivia de Havilland unter Verwendung der Schauspielmusik von Mendelssohn, Reinhardts einzige Regiearbeit in Hollywood. Der Film erhielt 2 Oscars.
1999 unter der Regie von Michael Hofman mit einer Starbesetzung: Kevin Kline als Bottom, Michelle Pfeiffer als Titania, Rupert Everett als Oberon und Calista Flockheart als Helena
Bild: First Quarto (1600): Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1288768
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