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Verstärker: Spiel mit Emotionen

Wir lieben sie, verwenden sie und verbrauchen sie: die kleinen Wörter, die Eindruck schinden sollen.

 Modifizieren und verstärken

„Schauen Sie, Fräulein: was heißt denn das?“ pflegte Rudolf Hanslik, mein Lehrer an der Universität vor allem bei Betrachtung der vielen kleinen Wörter in spät- und mittellateinischen Texten zu sagen. „Gar nichts, sehen Sie.“ Er hatte großteils sicher recht. Aber eben nur großteils. Denn diese kleinen Wörter, die modifizieren oder verstärken, tun ja doch etwas, eben modifizieren und/oder verstärken. Und wir lieben sie dafür, auch wenn ich im Zuge meiner literarischen Recherchen gelernt habe, dass Autoren dazu angehalten sind, sie möglichst aus ihren Texten zu entfernen. Also weg mit allen eigentlich, im Wesentlichen, wirklich etc. Klare, unverschnörkelte Aussagen. Das mag für einen Schriftsteller ein Desiderat sein, beim Rest sprachlicher Äußerungen funktioniert es nicht. Da wollen wir eben modifizieren oder verstärken. Eigentlich. Und Dinge sind urgut, superschön oder megageil – je nach Sprecher, Kontext, Herkunft und Zeit. Denn die Dinger sind Moden unterworfen, treten nur in gewissen Gebieten auf und nützen sich ab.

 

Im Wandel der Zeit

In Deutschland fängt niemand etwas mit dem in Wien so beliebten ur- an, das auch hier vor einigen Jahrzehnten nicht üblich war. Ich kann mich gut erinnern, wie dieser Verstärker in Gebrauch kam. Mit super ergeht es mir ähnlich. Ich lernte es 1972 bei meinem ersten Englandaufenthalt kennen. Da war es in Österreich überhaupt noch nicht üblich. Es ist gekommen und hat seinen Platz behauptet, sich aber doch ein bisschen abgenützt. Daher wurden ultra, mega und giga aus der lateinisch-griechischen Mottenkiste hervorgeholt.

 

Mit voll und ganz als Verstärkern tut man sich leicht. Auch recht und ziemlich (so wie es sich geziemt/gehört) sind gut nachvollziehbar, ebenso wirklich. Bei sehr wird die Geschichte schon komplizierter. Das wirkt so neutral, ist aber ursprünglich ein heftiges Wort. Es hängt nämlich mit dem nicht mehr sehr geläufigen Wort versehrt/verletzt zusammen. In meiner Kindheit gab es in der Straßenbahn einen sogenannten ‚Versehrtensitz‘, da ja damals Kriegsversehrte ein großes Thema waren. Sehr heißt also ursprünglich 'schmerzhaft'.

 

Starke Ausdrücke durch Negatives und Gegenteil

Und damit kommen wir zu einer weit verbreiteten Möglichkeit starke Ausdrücke zu erzeugen: man nimmt etwas Negatives. Momentan ist ‚brutal‘'ein recht beliebtes Wort in dieser Liga, in Deutschland ‚ätzend'‘, ein Wort, das wohl ebenso wenig in seiner tatsächlichen Bedeutung verstanden wird wie geil oder grindig. In meiner Jugend sprach man von geilen Buttercremetorten, später lernte ich dann die sexuelle Konnotation ‚lüstern‘ kennen und glücklicherweise gibt es dank Shampoos und regelmäßiger Haarwäsche kaum mehr Grind auf den Köpfen.

 

Wie weit Bedeutungswandel in diesem Bereich gehen kann, sei am französischen ‚C’est formidable‘ gezeigt, das ursprünglich ‚schrecklich‘ bedeutete, heute aber für etwas Großartiges verwendet wird.

 

Ein negativer Verstärker verstärkt besonders gut. Etwas ist schrecklich schön oder furchtbar gut, auf Englisch terribly nice oder frightfully good. In dieser Sprache kombiniert man gerne gegensätzliche Ausdrücke um zu verstärken und sagt daher dann auch pretty bad. Das sinnentleert wirkende very kommt von lateinisch vere und heißt nichts anderes als unser wirklich.

 

Nicht gesellschaftsfähig, aber sinnentleert

Was noch immer nicht wirklich gesellschaftsfähig geworden ist, aber weithin in allen möglichen und unmöglichen Zusammenhängen verwendet wird, ist das Wort Scheiße, als Epitheton ornans Scheiß-, wie in Scheißwetter. Es ist praktisch komplett sinnentleert, ebenso wie das englische fuck, fucking. Man möge mir hier verzeihen, dass ich es anführe, aber es könnte sein, dass irgendwann keiner mehr weiß, was es tatsächlich heißt.

 

Verstärken im Lateinischen

Um wieder gesitteter zu werden und den Bogen weiter zu spannen, möchte ich mich dem Lateinischen direkt zuwenden. Der klassische Verstärker ist da per, was in Zusammensetzungen ganz durch von Anfang bis zum Ende, völlig bedeutet. Per-venire heißt die ganze Strecke bis ans Ziel zurücklegen, per-ferre etwas bis zum Schluss aushalten/ertragen. Perfacilis heißt ganz leicht, persapiens sehr weise usw.

 

Elativ

Was man aber üblicherweise als verstärkte Form oder sogenannten Elativ kennt, sind die Steigerungsformen. Recht bald lernen LateinschülerInnen, dass man optimus als sehr gut und pulcherrima als sehr schön übersetzen kann. Auch der Komparativ kann ein solches Eigenleben führen. Pulchrior wird wohl ohne tatsächlichen Vergleich ziemlich schön heißen. Auch im Deutschen gibt es derartige Spielereien. Man ist in bester Gesellschaft – es bleibt ungesagt, mit wem verglichen wird, und bessere Leute schaut auf die übrigen herab, die recht wenig definiert sind.

 

Sprachwandel in den romanischen Sprachen

Üblicherweise zeigen derartige Verwendungsmöglichkeiten Abnützungserscheinungen, die sich in Sprachwandel manifestieren. So auch hier. Der Superlativ ist abgenützt als verstärkte Form. Also weicht man aus. Wohin? Auf den deutlich weniger strapazierten Komparativ. So kommt es, dass Sante Maria Maggiore nicht eine größere, sondern die größte Marienkirche Roms ist, und im Französischen der Komparativ mit plus (plus grand – größer) und der Superlativ mit dem Artikel und plus gebildet wird (le plus grand - am größten). Auch im Italienischen hat das plus als piu zugeschlagen und die originalen Superlativformen dienen als Verstärker und Eyecatcher, sodass nach Weihnachten in Italien auf den Geschäften wunderbare Superlativformen von Nomina wie occasionissima von occasione oder offertissima von offerta prangen. So kann es gehen.

 

Die erfrischende oder erschütternde Tatsache ist – vom konservativen Teil der Welt wird das vielleicht als Sprachverfall angesehen- : wir lassen uns immer wieder etwas Neues einfallen, damit wir mit Äußerungen auffallen, weil sich die etablierten Ausdrücke abnützen. Was wird uns also als nächstes ins Haus stehen?

 

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