lA gIUDITTA
Antike und Bibel (schließlich ist das Buch Judit nicht aus grauer Vorzeit, sondern aus hellenistischer Zeit) boten besonders in der Renaissance und im Barock Unmengen an Material für die bildende Kunst und die Musik. Da konnte der hochdramatische Judithstoff nicht unbehandelt bleiben. Da er biblisch war, konnte er für Oratorien verwendet werden, auch als um 1700 durch päpstlichen Erlass Opernaufführungen in Rom verboten waren, was Alessandro Scarlatti (1660 – 1725) mit seinem Werk ‚La Giuditta‘ sogar zweimal, nämlich 1693 und 1697, tat.
Der Text der Version von 1697 ist – wie so vieles aus dieser Zeit und von diesem Ort – von einem hochgestellten Herrn, dem Vater des Kardinals Ottoboni, die ältere Fassung von Kardinal Pietro Ottoboni selbst.
Das Oratorium zeigt die klassische Zweiteilung, die damals üblich war. In der Pause konnte man Erfrischungen konsumieren.
Die ältere Version ist für fünf Stimmen, die jüngere nur für drei (Giuditta, Oloferne und Nutrice – die Amme, so wie die Dienerin im Bild Caravaggios interpretiert wird).
Im ersten Teil beschließt Judith ins Feldlager zu gehen und an Holofernes heranzukommen, was ihr auch gelingt. Der zweite Teil befasst sich mit dem Après: Judith schläfert Holofernes ein und begeht mit Hilfe ihrer Amme die Tat. Dann kehrt sie nach Betulia zurück und preist Gott, dass ihr Plan gelungen ist.
Als Kostprobe: Dormi o fulmine di guerra aus der Version von 1697 mit dem wunderbaren Countertenor Filippo Mineccia und dem ebenso großartigen Ensemble 1704 unter Vaclav Luks in wunderbarer Barocktheater-Kulisse des Theaters in Cesky Krumlow.
https://www.youtube.com/watch?v=mbf4Eu2RcWks
Eine Gesamtaufnahme
https://www.youtube.com/watch?v=5cB35U5BYXghttps://www.youtube.com/watch?v=5cB35U5BYXg
Hier sieht man eine weitere Version des Judith-Stoffes in der Gestaltung von Artemisia Gentileschi
Übrigens: bitte nicht mit Franz Lehárs Operette ‚Giuditta‘ verwechseln. Die hat rein gar nichts mit diesem Stoff zu tun.
La Betulia liberata
Der größte Librettist des 18. Jahrhunderts, Pietro Metastasio, hat sich übrigens auch mit dem Stoff befasst. Sein Text unter dem Titel ‚La Betulia liberata‘ (die befreite Stadt Betulia) wurde von zahlreichen Komponisten, darunter Johann Adolph Hasse und Leonardo Leo und einem 15-jährigen Teenager aus Salzburg namens Wolfgang Amadé Mozart, der sich 1771 mit seinem Vater Leopold auf einer Italienreise befand, vertont.
Juditha triumphans
Das interessanteste Werk zum Judithstoff ist aber meiner Meinung nach aus mehreren Gründen Vivaldis Oratorium ‚Juditha triumphans‘. Es hat eines der seltenen lateinischen Libretti. Oratorien sind üblicherweise in den Nationalsprachen, also sehr viele auf Italienisch und oder – wie Händels spätere Oratorien – auf Englisch. Dieses ist ausnahmsweise auf Latein.
Die meisten Menschen kennen Antonio Vivaldi (1678-1741) als den Komponisten der ‚Vier Jahreszeiten‘, einem der erfolgreichsten Werke der Barockzeit überhaupt. Nur wenige wissen, dass der Prete rosso, der rote Priester, wie er aufgrund seiner Haarfarbe genannt wurde, nicht nur Violinkonzerte, sondern auch zahlreiche Opern schrieb. Vivaldi führte nämlich quasi ein Doppelleben. Er versuchte, aus gesundheitlichen Gründen seinen priesterlichen Pflichten zu entkommen, was ihn aber keineswegs daran hinderte, einerseits als Opernkomponist und Impresario am venezianischen Teatro S. Angelo, andererseits als maestro de concerti (musikalischer Leiter) am Ospedale delle Pietà tätig zu sein. Dort war er für die musikalische Ausbildung der sogenannten putte zuständig, der Waisenmädchen, deren Konzerte im 18. Jahrhundert Fans aus ganz Europa anlockten.
Seine Juditha triumphans ist quasi hier das missing link: ein Oratorium, in der damaligen Praxis praktisch eine Oper ohne Bühne, das die Mädchen aus der Pieta aufführten. Und das zu einem hochbrisanten politischen Anlass: dem Sieg der Venezianer über die Türken in Korfu im Sommer 1716. Der vollständige Titel des Oratoriums lautet Juditha triumphans devicta Holofernis barbarie, wobei natürlich unter der Barbarei des Holofernes die der Türken zu verstehen ist. Der siegreiche Feldherr von Korfu, Matthias von der Schulenburg, war bei der Aufführung des Oratoriums im Ospedale della Pietà persönlich anwesend.
Man stelle sich vor: fünf Solistinnen – denn es traten ja nur Mädchen auf -: Juditha (Mezzosopran), Vagaus, Eunuch, Diener des Holofernes (Sopran), Holofernes, ein assyrischer Feldherr (Alt), Abra, Judithas Magd (Sopran) und Ozias, der Hohepriester von Betulia (Alt). Über die Altstimme für Holofernes war wohl damals niemand erstaunt, weil auch in den Opern die Heldenrollen von Kastraten gesungen wurden. Erstaunlicher ist schon, dass auch der ganze Chor nur aus Frauen bestand, und ganz besonders, dass nur Frauen im Orchester spielten. Das war wohl das außergewöhnlichste an der ganzen Sache und konnte nur in einem der Ospedali in Venedig passieren. Sängerinnen ja, Instrumentalistinnen kaum. Und dann so eine Aufführung nur mit Frauen und Mädchen – etwas nicht nur für diese Zeit Sensationelles!
Als Beispiele für die Musik möchte ich zwei Arien angeben, die mir besonders gefallen und offensichtlich auch immer wieder Stars der Barockszene herausfordern:
Agitata infido flatu, eine Arie der Juditha:
Hier als Beispiel Sonia Prina: https://www.youtube.com/watch?v=AxWSloIlrVA
Agitata infido flatu
Diu volatu vagabundo
Maesta hirundo, maesta hirundo
It plorando boni ignara.
Sed impulsu aurae serenae
Tantae cito oblita poenae
In dilecta dulcia tecta
Gaudii ridet haud avara.
Hin- und hergeworfen vom unsicheren Wind
irrt die traurige Schwalbe lange
im Flug klagend umher und
kennt nichts Gutes.
Doch angetrieben durch ein laues Lüftchen
vergisst sie schnell so großes Leid
und lacht im geliebten, süßen Nest
nicht begierig nach anderer Freude.
Und als zweites Beispiel die Wutarie des Vagaus, Armatae faces et anguibus, die auf Youtube von Größen wie Madalena Kosena, Cecilia Bartoli, Karina Gauvin (https://www.youtube.com/watch?v=tygXSmEsJ6g) oder Vivica Genaux dargeboten wird. Ich persönlich finde hier besonders die Interpretation von Karina Gauvin faszinierend.
Armatae face et anguibus
A caeco regno squalido
Furoris sociae barbari
Furiae, venite ad nos.
Morte, flagello, stragibus
Vindictam tanti funeris
Ducis docete vos.
Bewaffnet mit Bränden und Schlangen,
kommt aus dem dunklen, düsteren Reich,
ihr Furien, ihr Gefährtinnen wilden Rasens,
kommt zu uns.
Mit Tod, Geißel und Gemetzel
lehrt uns Rache für solch einen Mord
an unserem Führer.
Der Schlusschor des Oratoriums wurde zur Hymne der Stadt Venedig.
Salve, invicta Juditha formosa,
Patriae splendor, spes nostrae salutis.
Summae norma tu vere virtutis
Eris semper in mundo gloriosa.
Debellato sic barbaro Trace
Trimphatrix sit Maris Regina
Et placata sic ira divina
Adria vivat et regnet in pace.
Sei gegrüßt, schöne, unbesiegte Judith,
Glanz der Heimat,Hoffnung für unser Heil.
Du, wahrhaftig das Maß höchsten Mutes,
wirst immer auf der Welt ruhmreich sein.
So möge nach der Unterwerfung des wilden Thrakers
die Königin des Meeres triumphieren
und möge die Adria, nachdem der göttliche Zorn
besänftigt ist, leben und in Frieden herrschen.
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