Mit dem Buch Judit hat es so seine eigene Bewandtnis: gehört es nun ins Alte Testament oder nicht? Es ist eine deuterokanonische Schrift, wie der Fachausdruck dafür lautet. Die Juden zählen es nicht zum Tanach (ihren kanonischen Schriften) und die Protestanten betrachten es als apokryph. In der Septuaginta ist es enthalten, nicht aber in der masoretischen Texttradition. Und es ist nicht hebräisch, sondern griechisch, gehört also zu den sogenannten Spätschriften des Alten Testaments.
Nichtsdestotrotz: die Dame ist sehr beliebt – wie auch die Häufigkeit ihres Namens beweist - und ihre Geschichte zeigt große Wirkung in der Kunst und der Musik. Endlich einmal eine Heldin, aber keine Amazone. Sie besiegt den Gegner sozusagen mit den Waffen einer Frau, ihrer Schönheit und Verführungskunst.
Hier kurz die Geschichte:
Als bei der Belagerung der Stadt Betulia durch den Feldherrn Holofernes die Bewohner in große Bedrängnis geraten, beschließt die Witwe Judith mit ihrer Magd ins Feldlager des Holofernes zu gehen. Dort erregt sie durch ihre Schönheit großes Aufsehen und es gelingt ihr, sich an den Feldherrn heranzumachen. Bei einem zärtlichen Tete à tete setzt sie den guten Mann gewaltig unter Alkohol. Als dieser ermattet – die weiteren Details erspart der Autor - in Schlaf sinkt, schnappt sie sein Schwert und haut ihm den Kopf ab.
Mit Hilfe ihrer Dienerin bringt sie den Kopf nach Betulia und zeigt ihr der begeistert jubelnden Menge. Die Leute des Holofernes sind so geschockt, dass sie bei einem Ausbruch der Belagerten heillos die Flucht ergreifen.
Bravo Judith! Die ganze Sache ist so schön und gruselig. So richtig sex and crime. Judith in ihrem schönsten Kleid und all ihrem Schmuck und dann das Kopfabhacken. Richtig schön schaurig. So haben es viele Maler und Malerinnen gesehen. Vielleicht am eindrucksvollsten nicht Michelangelo oder Veronese, sondern die Malerin Artemisia Gentileschi.
Es gibt Darstellungen der Dame mit oder ohne Dienerin, in denen der Kopf gehalten oder getragen wird, so zeigt z. B. Michelangelo die beiden von hinten bzw. seitlich nach vollbrachter Tat mit einem recht groß geratenen Haupt des Holofernes auf dem Kopf der Dienerin mehr oder weniger auf einem Präsentierteller in einem Zwickel der Sixtinischen Kapelle.
Gustav Klimt
Bei Klimts goldglänzener Jugendstiljudith muss man Holofernes in der unteren Ecken suchen und findet gerade seine rechte Gesichtshälfte.
Die Dame fällt zeitlich im Vergleich zu den anderen etwas aus dem Rahmen und sei hier nur wegen der großen Popularität in Österreich erwähnt.
Ich möchte vielmehr auf die Darstellung der eigentlichen Tat, die vor allem im 16. und 17. Jahrhundert sehr beliebt war, eingehen.
Paolo Veronese
Da wäre einmal Veroneses (1528-1588) Judith. Sie ist vor allem schön, trotz allem, was der Szene vorausgegangen ist, perfekt gekleidet und frisiert. Eine kühle, coole Catherine Deneuve des 16. Jahrhundert, die auf ihre schwarze Dienerin blickt. Den abgehauenen Kopf hält sie von sich ab mit beiden Händen, quasi mit unsichtbaren Gummihandschuhen. Auch ihr prächtiges Kleid zeigt keine Spuren der vorangegangenen Schlachterei. Sie schaut die Dienerin und mich fragend an: „So und was soll ich jetzt mit diesem Ding da machen?“
Michelangelo da Caravaggio
Caravaggio (1571-1610) sieht die Sache schon etwas anders, oder lässt die beiden Frauen sie anders sehen.
Seine Judith ist nicht ganz so blond, nicht ganz so reich geschmückt und gekleidet. Sie trägt nur Ohrringe und ein unschuldiges, weißes Blüschen. Die Dienerin rechts neben ihr ist alt, vielleicht ihre alte Amme, die - ähnlich wie bei ‚Romeo und Julia‘ - ihre engste Vertraute ist. Judith ist gerade dabei dem Holofernes den Kopf abzusäbeln. Er reißt Augen und Mund auf und versucht sich mit letzter Kraft aufzurichten. Doch zu spät, die Kehle ist durchgeschnitten und das Blut fließt in Strömen, allerdings nicht auf Judiths blütenweißes Blüschen. Diese hat die Arme ausgestreckt, hält mit der linken Hand den Kopf an den Haaren und säbelt mit der rechten kräftig drauflos. Armhaltung und Gesichtsausdruck sagen: ekelig, Mann und Tat. Die alte Dienerin steht mit verkniffenem Gesichtsausdruck dabei und hält ein Tuch oder einen Sack bereit, um die Beute abzutransportieren. Die Seiten sind eindeutig zugeordnet: er ist links, die Frauen rechts.
Artemisia Gentileschi
Artemisia Gentileschi (1593 - 1653) befasste sich sogar insgesamt viermal mit dem Thema – und sie hatte guten Grund dazu. Zweimal stellt sie die beiden Frauen mit dem Kopf des Holofernes dar, zweimal steigt sie mitten in die Szene der Enthauptung. Und hier sind wir wirklich mitten im Geschehen: hier fließt das Blut in Strömen und die beiden Frauen haben gewaltig zu tun, den sich Wehrenden niederzuhalten und ihm mit dem Schwert die Gurgel abzuschneiden. Action pur. Schwert und Kopf des Holofernes im Mittelpunkt des Bildes, darüber die angestrengten, sich ekelnden Gesichter der Frauen. Und das Ganze in dramatischer Caravaggio-Beleuchtung von vorne mit Zoom. Kein Blau und Grün, kein Gold. Selbst das Rot des Stoffes, der Holofernes bedeckt (er ist ja schließlich ein Feldherr) gleicht sich den dunklen Tönen des Bildes an.
Was mag diese Szene für Artemisia Gentileschi bedeutet haben? Sie war Tochter eines Malers und als erfolgreiche Malerin eine Ausnahmeerscheinung ihrer Zeit. Und bekam die Auswirkungen selbstherrlicher Männerüberheblichkeit nur zu deutlich zu spüren. Sie wurde von Agostino Tassi, einem Malerkollegen ihres Vaters, der sie ausbilden sollte, vergewaltigt und dann im Stich gelassen. In einem Prozess, den ihr Vater gegen Tassi anstrengte, wurde sie auf erniedrigende Weise zu Aussagen gezwungen und musste eine gynäkologische Untersuchung und die Daumenschrauben über sich ergehen lassen, da an ihrer Jungfräulichkeit vorher gezweifelt wurde. Tassi landete schließlich im Gefängnis und Artemisia heiratete einen anderen und zog mit ihm von Rom nach Florenz, wo sie ihre Karriere erfolgreich ausbaute. Doch das Erlebte war wohl Grund genug, der aufgestauten Wut in ihren Bildern ein Ventil zu geben.
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